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Dezember 2003

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Über VTeX - Interview mit Walter Schmidt

Von Lothar Frommhold © Dezember 2003, Übersetzung: Joachim Moritz

VTeX/Free ist eine TeX [ausgesprochen "tek" - Anm.d.Red.]-Distribution, die um das VTeX-Programm herum aufgebaut wurde. VTeX ist eine Implementierung der TeX-"Schriftsatzmaschine", um eine PDF- (Adobes Portable Document Format) oder Postscript-Ausgabe direkt aus der TeX-Quellendatei zu generieren. VTeX hat so viele gute Seiten. Es ist bemerkenswert, daß es freie Software für OS/2 und eCS ist. Die Distribution und die Dokumentation wird von Walter Schmidt unterhalten, der für diesen Artikel von Lothar Frommhold interviewt wurde.

Frage:
VTeX basiert auf Donald Knuths TeX. Was ist an TeX so herausragend, wenn wir vorausschicken, daß es der Pionier und jetzt das führende, elektronische Satzsystem für wissenschaftliche und technische Veröffentlichungen seit seiner Entstehung in den frühen achtziger Jahren ist?
Walter Schmidts Antwort:
Weil das Programm nicht entwickelt worden ist, um für die Layouter attraktiv auszusehen, sondern um die Aufgabe des Setzens von Schriften und Texten perfekt zu erfüllen. Und weil Knuth einer der führenden Computerwissenschaftler ist und war, er ist ein Genie.
Frage:
Warum "Schriftsatz"? Das klingt, als wäre TeX nur für eine kleine Gruppe von Fachleuten nützlich? Sind hier Textverarbeitung, Desktop Publishing (DTP) und die Anforderungen (vieler) kommerzieller und (weniger) privater Nutzer nicht ausreichend berücksichtigt?
Antwort:
Sowohl LaTeX als auch das klassische DTP machen nichts anderes als "Schriftsatz". Wir benutzen nur den Begriff "DTP" nicht, da LaTeX einem anderen Ansatz folgt als GUI- [Graphical User Interface - Anm.d.Red.] gesteuerte Systeme und weil es auf das eigentliche Schriftsetzen beschränkt ist. Ein separates Eingabeprogramm braucht man dann noch zusätzlich.
[Anmerkung des Interviewers: Der EPM-Editor von OS/2 ist außergewöhnlich gut für diesen Zweck geeignet, speziell wenn man das VTeX-Frontend, das sehr einfach zu installieren ist, benutzt.]
Frage:
TeX ist der harte Kern des stark erweiterten LaTeX-Derivats, das es wirklich für so gut wie jede Betriebssystemplattform gibt, einschließlich emTeX für OS/2 und (aktueller) VTeX/2. Warum gibt es so viele LaTeX-Varianten?
Antwort:
Es gibt nur einen plattformunabhängigen Satz der LaTeX-Macros, aber es gibt viele Ports des Basis-TeX-Programms für verschiedene Computer und Betriebssysteme. (TeX war ursprünglich plattformunabhängig konzipiert.) Aber alle diese Varianten produzieren eine absolut identische "geräteunabhängige" (device-independent=DVI) Ausgabe; andernfalls dürften diese nicht den Namen TeX verwenden. Der technologische Fortschritt machte eine große Anzahl von Erweiterungen wünschenswert und möglich, insbesondere die PDF-Erzeugung direkt aus der TeX-Quelle, die besser ist als über das DVI-Zwischenformat. Als Ergebnis dieser Entwicklung erblickten pdfTeX und VTeX das Licht der Welt. Unglücklicherweise hat sich die weitere Entwicklung von TeX aufgeteilt.
Frage:
Mit anderen Worten: LaTeX ist ein mächtiger Satz von Macros, die die Benutzung von TeX vereinfachen, aber vollkommen allgemein und unabhängig von der verwendeten Plattform sind. Wird denn auch in Zukunft jede Erweiterung von LaTeX sofort auf allen Plattformen verwendbar sein?
Antwort:
Es ist möglich, daß die zukünftige LaTeX-3-Version zusätzliche Bestandteile benötigt, wie zum Beispiel einen Perl-Interpreter, neben dem reinen TeX-Programm. Ich hoffe, daß alle benötigten Werkzeuge auch unter OS/2 erhältlich sein werden. Aber das ist alles noch graue Theorie: LaTeX 3 existiert bis jetzt noch nicht!
Frage:
Wer benutzt eigentlich VTeX - und warum?
Antwort:
Kurz gesagt: Ich kenne die genaue Anzahl der Nutzer nicht. VTeX/2 ist kostenlos, und eine Registrierung wird nicht verlangt. Die meisten Teilnehmer unserer Mail-Liste sind Wissenschaftler oder Studenten. Das unterscheidet sich in keinster Weise von anderen Listen oder Newsgruppen, die mit TeX zu tun haben. Und zu dem 2. Teil der Frage: Warum? Weil es offensichtlich keine Alternative unter OS/2 gibt, jetzt wo emTeX praktisch tot ist.
Frage:
Ich habe Entschuldigungen darüber gehört, daß TeX und eigentlich alle LaTeX-Varianten keine graphische Benutzerschnittstelle haben. Warum ist das so? Ist VTeX ohne eine GUI ein lebensfähiges Programm?
Antwort:
In der Tat, TeX ist eine "Sprache" für Schriftsatz. Wenn Sie die Nutzung eines GUI vorziehen, benutzen Sie halt ein anderes Werkzeug! Werfen Sie mal einen Blick auf LyX, das versucht ein "TeX GUI" bereitzustellen: Für mich scheint es eher die Hochzeit aller Nachteile von TeX und WORD zu sein! Nebenbei: Ist es nicht richtig, daß, soweit es die Kontrolle des TeX-Compilers und damit verbundene Programme betrifft, das EPM-TeX-Frontend doch eigentlich alle Vorzüge einer GUI-Lösung vereint?
Frage:
VTeX produziert eine Ausgabe im Postscript- und PDF-Dateiformat. Wie kann ich die Ausgabe vorher betrachten?
Antwort:
Sie brauchen nur den Acrobat Reader (für PDF) oder Ghostscript/GSView (sowohl PDF als auch für Postscript) zu benutzen. Die Tatsache, daß es keinen aktuellen nativen Acrobat Reader für OS/2 gibt, stellt ein kleines Problem dar, aber glücklicherweise gibt es ja noch GhostScript und GSView. Ohne diese beiden müßten wir VTeX/2 aufgeben.
Frage:
Was sagen Sie zu dem Odin-basierten, aber völlig selbständigen Acrobat Reader 4.05 - kürzlich zum freien Download von Innotek herausgegeben?
Antwort:
Ich muß sagen, daß ich den noch nicht installiert habe. Er sollte ein deutlicher Fortschritt gegenüber Acrobat Reader V. 3 sein, aber die Version 4.05 ist auch weit davon entfernt, up to date zu sein. Auch würde ich Odin nicht als "natives" OS/2 bezeichnen.
Frage:
Was denken Sie über ein VTeX für andere Dateiformate, wie zum Beispiel HTML?
Antwort:
Das gibt es ja schon in der VTeX-Distribution für Windows, aber es gibt bisher keine Absicht, das nach OS/2 zu portieren. [Anmerkung des Interviewers: Es gibt einige anderweitig erstellte LaTeX-Software, die für einige dieser Aufgaben ausreichend sein mag. Zum Beispiel wurde dieses Interview in VTeX erstellt, und die HTML-Datei, die Sie lesen, wurde mittels TtH, dem TeX zu HTML-Konversionspaket von Ian Hutchinson, direkt aus dem VTeX erstellt. TtH ist für die nichtkommerzielle Nutzung frei erhältlich.]
Frage:
Da es TeX und LaTeX eigentlich für alle Plattformen gibt, heißt das dann auch, daß mit VTeX/2 erstellte Dokumente und deren TeX-Quellen wirklich an jedem anderen PC nutzbar sind?
Antwort:
Ja - außer das Dokument verwendet Features, die von anderen TeX-Systemen nicht unterstützt werden. Dies betrifft insbesondere die Einbettung von bestimmten Bitmap-Formaten und den Zugang zu speziellen PDF- und Postscript-spezifischen Ausstattungen. Wie auch immer, andere TeX-Implementierungen wie teTeX zeigen auch solche Differenzen zwischen verschiedenen Backends (klassisches TeX mit dvips vs. pdfTeX).
Frage:
Kann VTeX mit Dingen wie der Einbindung von Abbildungen (in welchen Formaten?), Tabellen, komplexen mathematischen und anderen (z.B. chemische und ingenieurtechnische) symbolischen Ausdrücken, Farben, Spezialschriften (z.B. Übergrößen, Fettdruck, fremdartigen Schriften, etc.) usw. umgehen? Gibt es etwas, das VTeX nicht - oder noch nicht - kann?
Antwort:
Verglichen mit anderen TeX-Systemen, hat VTeX keine besonderen Einschränkungen. Alles, was Sie in Ihrer Frage ansprachen ist prinzipiell möglich. So zum Beispiel die Einbindung von Abbildungen, die durch andere Programme erstellt wurden: VTeX unterstützt erweitertes Postscript (EPS), PDF und alle wichtigen Bitmapformate.
Frage:
Sind alle diese Features in dem VTeX-Paket enthalten, oder benötige ich noch zusätzliche Software - und wenn ja, kann man diese problemlos bekommen und zu welchem Preis?
Antwort:
LaTeX ist ein erweiterbares System, und CTAN (das TeX-Archivnetzwerk) bietet hunderte von zusätzlichen, freien Makropaketen an. Nur eine kleine Auswahl all dieser Pakete wird mit VTeX/2 ausgeliefert. Weitere Pakete können einfach heruntergeladen und installiert werden, da VTeX kompatibel zu der standardisierten "TeX directory structure" (TDS) ist. Es gibt viele zusätzliche Programme, die LaTeX komplettieren, zum Beispiel Vor- und Nachbereitungsprogramme (Pre- und Postprocessors), Zeichenprogramme etc. Ob Sie diese brauchen oder nicht hängt von Ihrer jeweiligen Anwendung ab. Die freie VTeX-Distribution beinhaltet nur die beiden wichtigsten Pakete, die man realistischerweise als "notwendig" betrachten sollte, die MakeIndex- und BibTeX-Pakete. Weitere freie Software ist abrufbar von CTAN, aber nicht alles wurde nach OS/2 portiert, unglücklicherweise. [Anmerkung des Interviewers: MakeIndex generiert automatisch ein Register aus langen Zeitungs- und Buchmanuskripten, und BibTeX verarbeitet Datenbanken von Referenzquellen; diese beiden sind extrem nützlich in der wissenschaftlich-technischen Textverarbeitung.]
Frage:
Wird VTeX/2 zusammen mit eCS herauskommen?
Antwort:
Möglicherweise ja. Es gibt Pläne, die aktuelle VTeX/2-Version zusammen mit der eCS-Distribution herauszubringen.
Frage:
Wird VTeX für OS/2 weiterhin frei sein?
Antwort:
Es gibt keine Pläne, aus VTeX/2 ein kommerzielles Produkt zu machen.
Frage:
Welche VTeX-Pakete werden kommerziell vertrieben?
Antwort:
Es gibt VTeX für Windows. Es enthält einen Editor und viele Zusatzwerkzeuge, außerdem kann es HTML und SVG generieren genauso wie Postscript und PDF, und es gibt ein GUI, um alle diese Programme zu kontrollieren. Weitere Informationen erhalten Sie bei MicroPress. MicroPress stellt außerdem Schriftschnitte zur Verfügung, die speziell für die Verwendung mit TeX (nicht nur VTeX!) kreiert wurden. Ich empfehle einen Besuch bei MicroPress Fonts.
Frage:
Gibt es eine ständige Weiterentwicklung von VTeX und VTeX/2 (für OS/2-eCS)? Und von wem?
Antwort:
Das kommerzielle VTeX für Windows steht unter der Verantwortung von MicroPress Inc., während die Arbeit an VTeX für OS/2 und Linux auf mehreren Schultern ruht: Michael Vulis (MicroPress Inc.) ist der Betreuer der OS/2- und Linux-Portierungen des reinen VTeX-Programms, während ich für die Zusammenstellung der gesamten Distribution, wie zum Beispiel das Hinzufügen der LaTeX-Macros, der Konfigurationsdateien, die Dokumentation, das Installationsprogramm usw. und das Testen zuständig bin. Ich werde hierbei beträchtlich unterstützt von Herbert Voss, der sich um die Linux-spezifischen Teile der Distribution kümmert (Vielen Dank an dich, Herbert!).
Frage:
Anfang diesen Jahres habe ich VTeX auf meiner eCS-Workstation aufgesetzt, ich war überrascht ob des eleganten Installationsprogramms, das Sie geschrieben haben. Die Installation von VTeX war ein Klacks, und ich sah mich praktisch ohne Verzug wieder mit LaTeX - oder besser VTeX - auf meiner neuen Workstation arbeiten. Ich denke, ich habe weniger als eine Minute mit der Installation verbracht: keine Ausrutscher, kein Kopfkratzen, keine nagenden Zweifel, dafür exzellente, prägnante Instruktionen. Es war so, wie eine Installation sein sollte: wunderbare Arbeit! Können Sie uns sagen, was die Zukunft bringen wird? Wohin wird es mit LaTeX und VTeX gehen?
Antwort:
Es gibt ein Langzeitprojekt, genannt LaTeX 3, welches hoffentlich die verbliebenen wesentlichen Fehler und Nachteile des aktuellen LaTeX2e beseitigt, siehe hierzu auch bei LaTeX Projekt. Genauso wie bei VTeX/Free gibt es aber keine Pläne, generelle Änderungen durchzuführen. Natürlich wird diese Distribution alle zukünftigen Änderungen an den LaTeX-Macros und der Zusatzpakete enthalten. Ich bin dabei, die Dokumentation grundlegend zu verbessern. Ich hoffe, ich kann ein vollständiges "VTeX/Free-Tutorial" in naher Zukunft bereitstellen.
Frage:
Wie kann man VTeX herunterladen?
Antwort:
Siehe dazu die MicroPress OS/2-Seite. Oder, wenn Sie nicht viele Worte der Erklärung benötigen, besuchen Sie die CTANs OS/2-Seite.
Frage:
Als ich vor 15 Jahren begann, LaTeX zu benutzen, hatte ich vorher eine andere Textverarbeitungssoftware, die aber nicht ganz meine Anforderungen erfüllte. Ich war erfreut, wie einfach es war, mit LaTeX anzufangen. Ich las die ersten 20 oder 30 Seiten von Leslie Lamports Buch und begann schon ein paar Briefe und einen Artikel für ein professionelles Journal in meinem Arbeitsfeld zu schreiben - ich bin davon nicht mehr losgekommen. Bis jetzt habe ich, als meine Anforderungen wuchsen, noch viele Teile des Buches und auch von anderen Büchern über LaTeX studiert. Meine Erfahrungen zusammenfassend möchte ich sagen, daß es einfach war LaTeX zu lernen, und ich sah nie eine Notwendigkeit, eine andere Software für meine Schriftlichkeiten zu nutzen - ob nun professionell oder persönlich. Haben Sie irgendwelche Anregungen für Anfänger, wo sie am besten beginnen sollen?
Antwort:
(1) Lesen Sie das LaTeX-Buch: LaTeX - A Document Preparation System von Leslie Lamport
(2) Lesen Sie die Installationsanweisungen und den "LaTeX Local Guide for VTeX/Free", der mit der VTeX/2-Distribution geliefert wird. Die VTeX-spezifischen Aspekte werden hier aufgeführt.
(3) Schauen Sie mal auf die TeX frequently asked questions (FAQ) in Ihrer Sprache.
(4) Nehmen Sie teil an der VTeX/Free Mail-List.
(5) Nehmen Sie außerdem teil an einer allgemeinen TeX-betreffenden Mail-Liste oder Newsgroup wie comp.text.tex; das sind exzellente Quellen der Unterstützung.
Frage:
Welche andere wichtige Literatur existiert noch für VTeX?
Antwort:
Sehen Sie auch in der englischen TeX-FAQ nach; sie hat einen Abschnitt über TeX betreffende Literatur.
Vielen Dank, Walter, für Ihre freundliche Zusage zu diesem Interview und Ihre Geduld, mir die vielen aufgekommenen Fragen zu beantworten! Wir wünschen Ihnen das beste weiterhin für Ihre erstaunlichen Anstrengungen bezüglich der OS/2-eCS-Community!

Daten und Quellen:

VTeX/Free - http://www.micropress-inc.com/os2/
Das CTAN systems/vtex/os2/ Verzeichnis - http://www.ctan.org/tex-archive/systems/vtex/os2/
Das LaTeX-Projekt - http://www.latex-project.org
VTeX/Free Mail-Liste - http://www.ntg.nl/mailman/listinfo/ntg-vtex
Die englische TeX FAQ - http://www.tex.ac.uk/faq
TtH - http://hutchinson.belmont.ma.us/tth/


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