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Juni 2001

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Quo vadis OS/2?

Von Frank Berke © Mai 2001
 
Die Bedeutung eines Betriebssystems steht und fällt mit der dafür verfügbaren Software, oder etwas spezieller, mit den vorhandenen sogenannten Killerapplikationen. OS/2 ist dieser Definition nach mehr als tot, es ist schlicht nicht existent, denn kein einziges großes Softwarehaus bietet noch eine seiner Killerapplikationen auch für OS/2 an, sieht man einmal von Lotus mit seiner Smartsuite ab. Das derzeit aktuelle Problem mit den Entwicklungsumgebungen lasse ich einmal bewußt außen vor; ich möchte meinen Fokus auf Programme richten, die für den Privatanwender von Bedeutung sind.
Was also hält die Benutzer von OS/2 heute noch bei der Stange? Doch sicher nicht die immer so hoch gepriesene enorme Stabilität des Systems? Weder NT/2000 noch Linux, wenn sie ordentlich konfiguriert sind, brauchen hinsichtlich ihrer Stabilität sicher nicht mehr den Vergleich zu scheuen. Zudem kann auch unter OS/2 ein lausig programmierter Treiber das Fundament recht schnell aushöhlen und für Leute, die sowieso öfter in den Interna ihres Systems experimentieren, oder auch Entwickler, sind Systemabstürze nichts außergewöhnliches mehr.
OS/2 muß also ganz andere Qualitäten aufweisen, denn sonst wäre die oft zitierte "installierte Basis" heute sicherlich geringer und ich glaube, auch ich stehe mit meiner Vermutung nicht alleine da, daß es da draußen eine große Zahl an stillen Benutzern gibt, die in Newsgruppen und Online-Foren nur sehr sporadisch (oder gar nicht) auftauchen und genau so schnell wieder verschwinden.

Also zählen wir mal auf:
 

 Also sind OS/2 Anwender allesamt sehr sparsame Leute, die nur selten in Software-und Hardware investieren (letzteres ist ökologisch sogar begrüßenswert)? Vielleicht, doch das beantwortet immer noch nicht meiner Eingangsfrage: womit arbeitet man unter OS/2? Die Antwort ist so banal wie richtig: mit Software für OS/2. Denn daß die berühmten Killerapplikationen nicht vorhanden sind, heißt ja noch lange nicht, daß man nicht irgendwie zum Ziel kommt. Denn wo die Platzhirsche fehlen, ist Freiraum für andere Anbieter, spontan fallen mir da Blueprint Software, R.O.M. Logicware und Matrica ein, viele andere könnten noch genannt werden.
 
Und doch lassen auch diese kleinen Hersteller, die zudem samt und sonders ihre Produkte auch auf anderen Plattform anbieten, noch Lücken offen, die so manchen Anwender früher oder später doch stören.
 
Nun, diese Erkenntnis ist nicht neu und es gab in der Vergangenheit auch immer Bestrebungen, zumindest die größten Scharten auszuwetzen und ich möchte die zwei populärsten Projekte einfach mal nennen: XFree86 für OS/2, das von Holger Veit gestartet wurde und noch heute zu einem wesentlichen Teil gepflegt wird. Die OS/2 Netlabs sind der andere wohl fast noch bekannter Part (Projekt Odin und der GIMP-Port).

Leider jedoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei vielen - zu vielen - Projekten der Netlabs eine gewisse Stagnation eingetreten ist, an anderen Projekten wird viel zu schleppend gearbeitet. Einen Grund hat Adrian Gschwend, Leiter der OS/2 Netlabs, schon indirekt genannt, als es um die Frage ging, OpenOffice (früher StarOffice) auf OS/2 zu portieren: dafür fehlen der OS/2 Community die Ressourcen. Nun, offensichtlich nicht nur dafür.

Dabei können die OS/2 Benutzer das Jahr 2000 sicherlich in überwiegend positiver Erinnerung behalten, denn in kaum einem anderen Jahr vorher hat sich so viel bewegt, auch und vor allem im Bereich freie Software: Mozilla, SANE, XWorkplace, Odin, GIMP und wie sie alle heißen, haben im abgelaufenen Jahr sicherlich Quantensprünge hinter sich.
PMMail, PMView, seit kurzem auch wieder ProNews und eventuell ImpOS/2 werden weiterentwickelt, dank der Großzügigkeit der Firma HOB können wir zu einem moderaten Preis X11-Anwendungen auch seamless ausführen, Scitech Software zeigt ebenfalls, was fähige Programmierer mit OS/2 machen können. Neu hinzugekommen sind in der jüngsten Zeit MPEG- und DivX-Spieler, die bei einigen Leuten durchaus Verzückung auslösten; Christopher Hodges (MIDI Station Sequencer) hat sich erbarmt und entwickelt einen WAVE-Editor für OS/2... eigentlich seltsam, daß ausgerechnet so ein elementares Tool nicht schon längst existiert! Zudem schlummert das eine oder andere tolle Teil noch auf irgendwelchen Entwicklungrechnen und harrt seiner Release: da existieren ein DVD Player, ein Outlook-Clone und von der eComStation glaube ich, daß Sie noch die eine oder andere gute Nachricht bereithält (Stichwort SmartSuite 1.6, ein renoviertes UI): warten wir also die GA ab - laut Bob St. John sind wir in der zweitern Junihälfte schlauer. Und für alle Zauderer: Das Upgrade-Angebot gilt noch weiterhin!

Einzig von Stardock Systems kam eine wirklich schlechte Nachricht: der Support und die Produktpflege für OS/2 werden mit dem Ende des Warp 4-Supports von IBM ebenfalls eingestellt. Nicht, daß sie es de facto nicht schon waren. Während man von IBM Produktpflege wenigstens noch in Form der Convenience Packs erhalten kann, dürften so klangvolle Namen wie Object Desktop, Process Commander, PMINews etc. wohl bald als Produktleichen bei Brad Wardell herumliegen, denn nach den Schlammschlachten, die er sich unter anderem auf OS2.org liefern mußte, glaube ich kaum, daß er auch nur eine Zeile Code freigeben wird. Mehr noch, ich kann es sogar verstehen. Zudem werden seitens Stardock inzwischen verstärkt wirtschaftliche Gründe für die Nichtfreigabe des Codes angeführt. Wer die Zeit hat, kann ja mal auf dem OS/2 Support Newsserver von Stardock, der nach wie vor frei zugänglich bleibt, herumstöbern und sich sein eigenes Bild machen...

Was auf der einen Seite teilweise nutzlos an Munition verschossen wird, wird auf der anderen Seite gespart. Immer wieder hört man Leute nach freier Software und immer neuen Projekten schreien - nur wenn endlich einmal Programme verfügbar werden, sind die Gesichter meist lang: die Software sieht nicht so aus, wie man sie sich wünschen würde, kann vielleicht (noch) nicht einmal das, was man sich von ihr erhofft hat und ist obendrein noch schwierig zu installieren und umständlich zu bedienen. Und wenn man erst einmal enttäuscht ist, macht als guter und verwöhnter OS/2-Anwender seinem Unmut auch Luft und läßt die oftmals mit großem Potential ausgestatteten Software-Pakete einfach links liegen.
 
Dabei ist das, was den meisten Projekten fehlt, schlicht Feedback. Wer sich freie Software aus dem Internet herunterlädt, dann feststellt, daß sie nicht funktioniert, sollte sich wirklich die Zeit nehmen, um mit dem/den Entwickler(n) in Kontakt zu treten. Vor allem wenn es sich um hardwaresensitive Programme handelt, oder um größere Projekte, ist wirklich jede Fehlermeldung hochwillkommen, genauso wie Lob, selbstverständlich. Wenn ich mir so einige Mailinglisten anschaue, wie zum Beispiel von SANE, dem Win-OS/2 Soundtreiber, oder sogar Odin, dann ist es da nicht weit her mit Rückmeldungen an die Entwickler. Paul Floyd hat sogar angekündigt, den weiteren Port von SANE (mittlerweile 1.0.4) einzustellen, da er für ihn funktioniert... er wird sich die kommende 1.0.5 Release aber trotzdem anschauen.

An dieser Stelle aber auch noch ein kleiner Seitenhieb an die Entwickler: nicht jeder potentielle Benutzer kann so abstrakt denken wie Ihr und bei vielen Distribution stellt sich schnell Frust ein, wenn man mit wenig bis gar keiner Dokumentation vor den Binaries steht. Was hörte ich Adrian Gschwend von den Netlabs noch auf der Warpstock sagen: wenn sie den Netlabs helfen wollen, benutzen Sie den WarpIN. Ich sage dazu, wenn Sie Ihre Software den Anwendern nahebringen wollen, benutzen Sie WarpIN. Es kann doch wohl nicht sein, daß zig willige Helfer fremde (!) Software-Pakete für die eComStation adaptieren, es aber bisher nur eine Handvoll Entwickler gibt, die Ihre Software ansprechend in den WarpIN verpacken, der als Open Source-Projekt und von der Konzeption her doch wohl erste Wahl gegenüber Wise Client/Wise Manager sein sollte.

Zu dem leidigen Thema der Bekanntgabe neuer Software und Versionsstände wurde an dieser Stelle bereits wiederholt hingewiesen. Um so nachdenklicher stimmt mich die »Entdeckung« einer Vielzahl von Programmen einer japanischen Entwicklergruppe, die OS/2 um einige Multimediafunktionen erweitert. Denn wenn ein so großes Projekt, welches sogar aktiv weiterentwickelt wird, es über mehrere Jahre nicht eschafft hat, auch im europäischen und anglo-amerikanischen Raum bekannt zu werden, wie viele kleinere Projekte blühen dann im Stillen oder sind schon länst verwelkt?
Welches Potential schlummert in der ehemalien Sowjetunion, wo OS/2 einen guten Ruf genießt und auch eine aktive Community existiert - leider fast ausschließlich auf russisch.
Da steht für mich fest: der globalen OS/2 Community mangelt es an Kommunikation. Es scheint nicht klar zu sein, wohin man will und wie man dorthin kommt, doch wenn in drei oder mehr Regionen der Erde OS/2 Entwickler das Rad immer neu erfinden (ob müssen oder wollen lasse ich einmal offen), dann halte ich das schlicht für eine Vergeudung wertvoller Ressourcen. Ich kann und möchte niemandem Vorschriften drüber machen, was er wie und warum entwickeln sollte, aber ich bin der festen Überzeuung, OS/2 Anwender sollten an einem Strang ziehen.

Um das zu erreichen, ist eigentlich gar nicht einmal so viel nötig: mindestens zwei international ausgerichtete Foren, die komplett in englisher Sprache existieren, sind bereits etabliert: OS2World.com und OS2.org.
Mit den OS/2 Netlabs steht bereits eine Web-Ressource mit viel Potential bereit, Entwicklern, die koordiniert an Open Source Projekten arbeiten wollen, Grundlagen zu bieten; außerdem verfügen die Netlabs über einen exzellenten Ruf bis hinein in die IBM.
Doch wer soll die Kommunikation anstoßen? Adrian Gschwend? Ulrich Möller? Bob St. John? Ich glaube, die sind es nicht. Es sind vielmehr die Benutzer selbst, die sich ja vielfach schon in lokalen Benutzergruppen zusammengeschlossen haben. Auf dieser Basis sehe ich das Potential für eine OS/2 Community, die ihren Namen auch verdient. Die sich global austauscht, sich global koordiniert und zusammenarbeitet.

Das alles steht jedoch unter der Prämisse, daß jeder mitmacht. Dies ist der zentrale Gedanke dahinter. Wer also etwas interessantes im Netz entdeckt, darf es nicht für sich behalten! Neuigkeiten müssen publik gemacht werden, Programme und Sourcecode gehören auf Hobbes, dem einzigen gut geführten OS/2 Softwarearchiv im Netz.

Kooperation und Engagement sind also angesagt, aber wie soll etwas auf kleiner Ebene funktionieren, wenn es schon eine Etage höher nicht klappt? Daß es in diesem Jahr sehr wahrscheinlich keine Warpstock Europe geben wird, hat sich wohl ein jeder bereits denken können. Aber die Gründe kennt wohl kaum einer. Es sind mitnichten Finanzierungsschwierigkeiten oder mangelnde Professionalität, wie in einigen Foren erst kürzlich zu lesen war. Vielmehr scheitert die ganze Sache an der Manpower. Im letzten Jahr wurd die Latte sehr hoch gehängt und wie es scheint, sieht sich niemand beim TeamOS/2 Deutschland e.V. in der Lage, sich zu einer solchen Anstrenung zu bekennen und sie in Angriff zu nehmen. Das ist hier jetzt nicht falsch zu verstehen - die Macher des letzten Jahres wären wieder voll dabei gewesen, nur nicht in der gleichen kleinen Besetzung.

Der Warpdoctor ist auch so ein Beispiel: mit viel Engagement von dem kürzlich verstorbenen Dan Casey als Ersatz für die selige Warp Pharmacy erstellt, sind Neuigkeiten und Aktualisierunen dort mittlerweile Mangelware. Schade, denn diese Seite wurde für die Allgemeinheit, oder neudeutsch 'Community', erstellt, kann aber auch nur überleben wenn diese ihr weiter zuarbeitet.

Um hier jedoch nicht völlig schwarz zu malen, habe ich mir die positiven Beispiele für den Schluß aufehoben. VOICE und das TeamOS/2 Trier e.V. werden in Zukunft Artikel (z. B. Prorammbesprechunen etc.) austauschen, und das zu beiderseitigem Vorteil. VOICE bekommt mehr interessante Artikel für seine Ausgaben, ebenso wie das TeamOS/2 Trier für seine Webseite. Darüber hinaus werde die Artikel auch jeweils übersetzt und so einer breiteren Leserschaft zugänglich.

Die zweite positive Meldung ist zwar schon zwei Ausgaben alt, soll hier aber trotzdem noch einmal gewürdigt werden: Das OS/2 E-Zine hat einen neuen Chefredakteur bzw. Herausgeber gefunden und konnte seine Ausgaben in gleichbleibend hoher Qualität nahtlos weiter veröffentlichen.

Ebenso hat Walter Metcalf, vormals Redakteur des OS/2 Parts bei About.com, eine neue Wirkungsstätte gefunden und wird zukünftig für die Extended Attributes und den VOICE Newsletter schreiben.

Hoffen wir also, daß die positiven Meldungen auch in Zukunft nicht ausbleiben - jeder kann seinen Teil dazu beitragen!


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